VerdunEin Besuch auf dem SchlachtfeldHistorischer Rückblick: Am 28. Juni 1914 wurde der Thronfolger des Kaiserreichs Österreich-Ungarn Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie in Sarajewo von einem jungen Serben erschossen. Daraufhin erklärte Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg. Die Folge war der Erste Weltkrieg, der mit seinen Massen an Soldaten und Munition neue, noch nie da gewesene Maßstäbe in der Geschichte Europas setzte.Eine der schlimmsten Schlachten spielte sich an der Westfront zwischen den Deutschen und den Franzosen ab. Die Schlacht um Verdun wird deshalb auch als "Abstieg zur Hölle" bezeichnet. Am 21. Februar 1916 8 Uhr morgens begannen die Deutschen mit einem Trommelfeuer auf die französischen Stellungen. Es regnete Granaten, die teilweise so groß wie Menschen waren. Zischen, Donnern, Beben. Immer und immer wieder wurde die Erde erschüttert, aufgewühlt, zerstört. Zurück bleiben werden für immer tiefe Krater. Ein ohrenbetäubender Lärm bohrte sich durch die Landschaft und in die Köpfe der Soldaten, die in ihren Stellungen auf einen Angriff der Infanterie ausharrten. Nicht wenige von den Männern wurden bereits in den ersten Stunden traumatisiert und für immer verrückt. Granatsplitter schossen umher, zu schnell für das menschliche Auge, und wurden zu mörderischen Waffen. Das deutsche Trommelfeuer auf die französische Front bei Verdun dauerte neun Stunden. 1200 Kanonen feuerten zwei Millionen Granaten ab. Die Franzosen wurden in den ersten Tagen zurückgedrängt. Es schien, als würden die Deutschen Verdun einnehmen. Aber das wollten französische Feldherren um jeden Preis verhindern und setzten so viele Soldaten ein, wie nur möglich. Die Folge: Es kam zu einem zermürbenden Stellungskrieg. Gekämpft wurde um wenige Meter, vielleicht nur 30. Im April 1916 waren bereits 130.000 Franzosen und 120.000 deutsche Soldaten gestorben. Das hielt die mächtigen Generäle nicht davon ab weiterzukämpfen. Mal konnten die Deutschen wenige Meter für sich gewinnen, mal die Franzosen. Aber die Schlacht war völlig verfahren und aussichtslos und endete erst nach 300 Tagen am 19. Dezember 1916. 700.000 Männer hatten ihr Leben verloren. Nach dem Krieg entschloss sich die französische Regierung dazu, die stark umkämpften Gebiete wieder aufzuforsten und unter "Denkmalschutz" zu stellen. Zu etwas anderem war der Boden nicht mehr zu gebrauchen: Noch heute liegen die Gebeine von rund 80.000 vermissten Soldaten irgendwo auf den ehemaligen Schlachtfeldern verschüttet. Außerdem liegen so viele Blindgänger, Granatsplitter und Schwermetallreste darin, was eine Agrarwirtschaft nicht mehr möglich machte. In den umliegenden Ortschaften der ehemaligen Frontlinie entstanden nach dem Krieg sehr wohl Äcker für Getreide und Mais, Weiden für Tiere. Aber noch heute, mehr als 100 Jahre nach der Schlacht, graben Bauern scharfe Granaten aus. Ein Anblick, der surrealer nicht sein könnte. Auf der einen Seite der Straße grasen die Kühe. Auf der anderen Seite ist ein junges Weizenfeld. Darin steckt kopfüber eine Granate, ein explosives Andenken mahnt uns zur Vorsicht. Ein Rütteln, unbedachtes Berühren ist lebensgefährlich. Es ist ein völlig absurdes Szenario. Als die Schlacht im Dezember 1916 endete, waren rund 50 Millionen Bomben und Granaten auf die etwa 20 Quadratkilometer um Verdun niedergegangen. Alles war zerstört, Leichen, Leichenteile, Knochen, lagen verteilt in der Erde, darüber, darunter. Man versuchte, die Soldaten zu begraben. Aber wie sollte man dieser schieren Menge an Leichen, Knochen und Gebeinen Herr werden? Wo sollte man die Männer begraben? Es entstand das Beinhaus von Douaumont, ein im Boden versunkenes Schwert. In den Katakomben wurden die Gebeine von 130.000 unbekannten Soldaten begraben. Sehen kann man die Knochen nur von Außen durch die Fenster. Davor liegen rund 17.000 Soldaten begraben."Mort pour la France" steht auf ihren Grabsteinen. Es ist ein irrer Anblick. Es waren so viele junge Männer, die meisten nicht älter als 30. Aber auch rund um die die Gedenkstätten und kleinen Ortschaften gibt es viele Soldatenfriedhöfe. Französische, Deutsche, Italienische, Amerikanische. Eine ganze Generation junger Männer liegt hier unter der Erde. Neben den Grabstätten empfinde ich die Statue "Mort Homme" (dt. Tote Mann) als sehr beeindruckend. Objektiv betrachtet ist sie nicht besonders ästhetisch: Der halb verweste, stumme Tote, der aufrecht und mit stolzer Brust dasteht und sich in die Fahne seines Landes eingehüllt hat. Für einen kleinen Moment macht mich sein Anblick traurig und ich muss an die vielen jungen Männer denken, die naiv und voller Stolz in den Ersten Weltkrieg zogen, in dem Glauben, dass ihr Heimatland in einem schnellen Krieg siegen würde. Die Wahrheit war eine andere: Jeder Einzelnen von ihnen war eine Marionette der Generäle. Einmal in der Hölle gelandet, hatten sie nur zwei Möglichkeiten der Schlacht mit den Waffen, dem Lärm, Schlamm und Hunger, der Müdigkeit und ständigen Todesangst zu entkommen: Entweder sie starben oder sie wurden verwundet und überlebten in einem Feldlazarett. Laut einem Spiegel-Bericht starb der letzte deutsche Veteran des Ersten Weltkriegs im Januar 2008 im Alter von 107 Jahren, der letzte französische im März 2008. Der gebürtige Brite Claude Stanley Choules starb 2011 im Alter von 110 Jahren als letzter Veteran des Ersten Weltkrieges. Heute, über 100 Jahre nach Ende des Krieges, sind die Wunden längst verheilt. Dort wo es früher nichts als Tod und Verwesung gab, steckt heute voller Leben. Wie der Wald rund um Verdun. In Wirklichkeit kaschiert er nur die Narben der Millionen Granaten, die den Boden für immer verändert haben. Der wellige Untergrund zieht sich wie ein roter Faden durch. Kein Stück Wald ohne ihn. Durch die Wiederaufforstung des geschundenen Bodens konnte sich ein Biotop mit einzigartiger Flora und Fauna entwickeln. Heute blühen wilde Blumen und leben Insekten, Schmetterlinge, Frösche, Spinnen dort. Vielleicht sogar in friedlicher Eintracht. Die Bäume wachsen, wie es ihnen gefällt. Eine märchenhafte Aura umgibt den Wald. Der Staatsforst von Verdun erhielt 2014 das Siegel „Forêt d’Exception“. Eine Auszeichnung für den guten Erhalt dieses historisch so wertvollen Ortes. Die prächtige Natur würde auch den sinnlos gefallenen Soldaten freuen. Und das ist nicht zynisch oder ironisch gemeint. Der Wald lockt nicht nur Besucher von überall her an. Auch viele Einheimische nutzen ihn und joggen auf den ausgebauten Wegen. Und wenn man etwas genauer hinsieht, kann man bereits in der Erde am Wegesrand Granatsplitter, Schrapnellkugeln, Hülsen und ganze Granaten entdecken. Es ist absolut absurd. Vor dem Trip nach Verdun hatte ich befürchtet, dass es mir zu viel werden könnte, mich vier Tage lang mit der Geschichte rund um Krieg und Zerstörung zu beschäftigen. Ich wurde eines Besseren belehrt. Ich tauche gänzlich in die Geschichte ein. Und abends, wenn ich genug davon habe, fahre ich in das nur wenige Kilometer entfernte Stadtzentrum von Verdun. Die Stadt liegt am Fluss Maas und verbreitete eine mediterrane Stimmung. Viele Cafés und Bars haben bis spät abends geöffnet. Die Sonne scheint und die Abende sind lau. Dann kommt sogar richtige Urlaubsstimmung bei mir auf. Weitere Infos: Für die vier Tage hatte ich das Hotel "Logis Hôtel-Restaurant Le Relais" in dem kleinen Örtchen Vacherauville gebucht. Es war sauber und nicht weit von den Gedenkstätten entfernt. www.relais-vacherauville.fr/
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