Ein Wochenende alleine in BerlinEine Reportage über die deutsche Hauptstadt-Metropole: Wie ich zum Berliner Kindl wurde„Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau, du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf…“ , summte ich. Nun stand ich hier am ZOB in Berlin. Ich hatte den Bus von Hamburg genommen, das erschien mir angenehmer, als die Bahn oder das Auto. Ich hatte zwei Tage Zeit für Berlin. Nur die Stadt und ich. Das hatte ich mir zuvor schon sehr lange vorgenommen und endlich setzte ich es um. Von der Stadt gehört hatte ich zuvor einiges. Manche Leute fanden Berlin grässlich, laut, zu groß, andere waren sehr begeistert. Ich war gespannt auf die Stadt, die so viel erlebt hatte. Zunächst fuhr ich ins Hotel. Dort würde ich Pläne für den Abend schmieden. Zum Glück hatte meine Freundin einige Zeit in Berlin gelebt und mir eine „What - to - see - in - Berlin“ - Liste zusammengestellt. „Du solltest auf alle Fälle tanzen gehen, auch alleine“, stand ganz oben. Wow, das musste ich erst einmal sacken lassen. Alleine ausgehen, das hatte ich zuvor noch nie gemacht. Ich entschied mich dafür, mich darauf einzulassen und es zu probieren. Wenn es schrecklich war, konnte ich noch immer zurück ins Hotel fahren. Draußen war es dunkel, die U-Bahn nur halb besetzt. An der Station WARSCHAUER STRASSE stieg ich aus und ließ mich treiben, folgte wildfremden Menschen, als hätte ich ein Ziel. Aber ich kam nicht weit. Vor dem Ausgang hatte sich eine Band postiert, fünf Typen spielten eine Mischung aus Jazz, Funk und Drum 'n' Bass. Ich stellte mich an den Rand und beobachtete die Szenerie. Das willige Partyvolk zog lachend am mir vorbei. Ich versuchte zu verdrängen, dass ich hier ganz alleine stand. Ein plötzliches „Hey!“ von der Seite riss mich aus meinen Gedanken. „Die sind gut, oder? Ich bin Ralf!“ Einerseits war ich heilfroh, nicht mehr alleine zu sein, andererseits hoffte ich, er würde nicht aufdringlich werden und bald wieder gehen. Die Vorstellung, einen ganzen Abend einen Typen an der Backe zu haben, der jedes Lächeln als potenzielle Einladung für mehr verstand, schreckte mich ab. Aber Ralf war cool und machte mir keine Avancen, vielmehr erzählte er mir von seiner Leidenschaft und der Berliner Graffiti-Szene. Ich entspannte mich und erzählte ihm von meinen Plänen, alleine tanzen zu gehen. Das konnte Ralf nicht zulassen. Er ließ seine Freunde ohne ihn weiterziehen, er wollte mir einen Club an der REVALER STRASSE zeigen. Die Bar war dunkel und verqualmt. Ich trank mein erstes Berliner Kindl. Die Musik war laut – so wie ich sie mag –, Hip-Hop-Beats schallten durch den Raum. Mich zog es sofort auf die Tanzfläche. Ralf und ich tanzten die ganze Nacht. Ich hatte es geschafft und konnte meinen ersten Punkt auf der To-do-Liste abhaken. Der Abend hatte meine Vorstellungen völlig übertroffen. Danke, Ralf! Als ich am Hotel ankam, war es 4:30 und kalt. Am nächsten Morgen brauchte ich zunächst einen Liter Kaffee, bevor ich in die Gänge kam und zu meinem nächsten Programmpunkt, – dem Mauerpark – an der Station EBERSWALDER STRASSE aufbrechen konnte. Nach der Wende und dem Fall der Berliner Mauer errichteten die Berliner auf einer riesigen Grasfläche einen Park. Er sollte eine Begegnungsstätte für alle sein und gleichzeitig an die getrennten Zeiten erinnern. Jeden Sonntag gibt es im Mauerpark einen Flohmarkt mit Fressbuden, Kitsch und Kunst und etlichen Straßenmusikern, wie die Band Charity Children aus Neuseeland oder Sam aus New York. Ich tauchte in die Atmosphäre ein. Kaum vorstellbar, dass dieser Ort einmal kein Sinnbild für Freiheit war. Von der Station EBERSWALDE fuhr ich zur Station POTSDAMER PLATZ und spazierte die Ebertstraße entlang. Und plötzlich tauchte es rechts neben mir auf: das Denkmal für die vielen ermordeten Juden Europas. Auf einer riesigen Fläche von 19.000 Quadratmetern stehen mattschwarze Betonblöcke auf einem welligen Untergrund in gleichen Abständen zueinander angeordnet. Dazwischen gibt es Licht und Schatten, Oberfläche und Untergrund, ein Wechselspiel aus sich Verstecken und Sichtbarsein. Über mir hing der blaue Himmel, Wolken schwebten vorüber. Weiter hinten wehte die deutsche Fahne im Wind. Das BRANDENBURGER TOR war umringt von Touristen, die eifrig in ihre Handys grinsten. Das Wahrzeichen erinnerte mich an Bauwerke der Antike. Ich ging weiter zum Deutschen Bundestag bis hin zum Gebäude des Reichstags. Die gläserne Kuppel prangte von oben herab, darin waren Besucher zu sehen. Darauf, deutsche Fahnen, daneben die Europafahne. Ich überquerte eine Brücke und ließ mich am Ufer an der Spree nieder und genoss die Sonne. Nach einer Verschnaufpause fuhr ich mit der S-Bahn zur Station OSTBAHNHOF. Ich wollte die berühmte „Eastside Gallery“ und den sozialistischen Bruderkuss zwischen Honecker und Breschnew sehen. Das Bild kannte ich nur aus dem Internet und fand es – live und in Farbe – enttäuschend. Es war heruntergekommen und vollgekritzelt mit Hieroglyphen aller Art. Ich hielt mich nicht lange auf, sondern stieg wieder in die U-Bahn zur Station MEHRINGDAMM. Im Reiseführer hatte ich gelesen, dass die „CURRYWURST 36“ der beste Wursttempel in Berlin war. Und das musste ich probieren. Fazit: Lecker! Am nächsten Tag, meinem letzten Urlaubstag folgte ich von meinem Hotel aus dem Straßenverlauf und überquerte eine Brücke über die Spree. Zu meiner Rechten, ein weißer Prachtbau: das Schloss Bellevue. In der Ferne, die Siegessäule. Ich marschierte durch den Park im Tiergarten in Richtung KURFÜRSTENDAMM und blieb am BAHNHOF ZOO stehen. Hier wurde das Drogendrama „Christiane F., wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gedreht. Ein Film, den ich sicher zehnmal gesehen habe. Neben dem Bahnhof liegt der berühmte Kurfürstendamm. Eine Einkaufsstraße mit vielen Geschäften und Cafés. Ich brauchte eine Pause und Kaffee, bevor ich weiterziehen konnte. Ich schlenderte über den Wittenbergplatz, vorbei an Urania und dem Bauhaus-Museum und bog in die STAUFFENBERGSTRASSE ein. Dort befindet sich das „Denkmal des deutschen Widerstandes“, dort wurde Stauffenberg von den Nazis hingerichtet. Eine Sache musste ich noch unbedingt besuchen, bevor ich zurück nach Hamburg fuhr. Ich schritt die Potsdamer Straße entlang, vorbei an der Neuen Nationalgalerie und der Staatsbibliothek in die FRIEDRICHSTRASSE. Und da war er: Checkpoint Charlie. Der berühmteste Grenzübergang zwischen Ost- und Westberlin lag vor mir. Mauerreste, Infoplakate und Touristen. Überall gab es etwas zu sehen. „You are leaving the american sector“, stand auf einer übergroßen Schautafel aus Holz. Aber ich musste weiter, ich musste meinen Bus zurück nach Hamburg kriegen. Ich trabte die „Unter-den-Linden“ Straße hinab. Zu meiner Linken lag die Humboldt-Universität, die nach dem Naturforscher und Biologen Alexander von Humboldt benannt wurde. Zu meiner Rechten, die Staatsoper. In der Ferne konnte ich den Fernsehturm sehen. Vorbei am Nikolaiviertel, dem ältesten Wohnviertel Berlins, vorbei an der Nikolaikirche bis hin zum ALEXANDERPLATZ mit dem Ungetüm, dem Fernsehturm. Ein Blick auf meine Uhr ließ mich zusammenzucken. Jetzt hatte ich es richtig eilig. Ich sprang in die U-Bahn und fuhr zum Hotel. Dort hievte ich mein Gepäck auf die Schultern und raste los in Richtung ZOB. Aber schaffte ich es rechtzeitig zum Bus zurück nach Hamburg? Ich hatte noch 45 Minuten Zeit. Wieder sprang ich in die Bahn und versuchte mich zu beruhigen. Die Strecke bis zum Busbahnhof war nicht weit, ich musste nur einmal umsteigen. Station WESTKREUZ. Aussteigen. Dann der Schock: Die nächste Bahn fuhr in 20 Minuten. Ich begann leicht zu zittern. Meine Hoffnung, pünktlich am Bus zu sein, schwand. Jetzt hieß es: Entweder schaffe ich es oder knapp nicht. Aber eine weitere Nacht hatte ich nicht eingeplant und kein Hotel gebucht. Was sollte ich also tun? Der einfahrende Zug beendete meine Gedankenspirale. Nach einer Station kam ich an der Messe ZOB/ICC an. Ich sprang aus der Bahn und rannte los. Am ZOB angekommen: 100 Busse. Es war 19:43 und ich panisch. Wo war der verdammte Bus? Ich drehte mich dreimal um die eigene Achse und dann sah ich ihn vor mir. Wie ein kleines Wunder war er mir plötzlich erschienen. Ich rannte wieder los. „Ich will mit. Ich bin hier“, sagte ich laut, aber eher zu mir als zum Busfahrer, der rauchend und völlig entspannt neben dem Bus stand. „Da kiekste wa!?“, entgegnete er. Ich musste lachen und stieg ein.
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