VerdunEin Besuch auf dem SchlachtfeldHistorischer Rückblick: Am 28. Juni 1914 wurde der Thronfolger des Kaiserreichs Österreich-Ungarn Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie in Sarajewo von einem jungen Serben erschossen. Daraufhin erklärte Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg. Die Folge war der Erste Weltkrieg, der mit seinen Massen an Soldaten und Munition neue, noch nie da gewesene Maßstäbe in der Geschichte Europas setzte.Eine der schlimmsten Schlachten spielte sich an der Westfront zwischen den Deutschen und den Franzosen ab. Die Schlacht um Verdun wird deshalb auch als "Abstieg zur Hölle" bezeichnet. Am 21. Februar 1916 8 Uhr morgens begannen die Deutschen mit einem Trommelfeuer auf die französischen Stellungen. Es regnete Granaten, die teilweise so groß wie Menschen waren. Zischen, Donnern, Beben. Immer und immer wieder wurde die Erde erschüttert, aufgewühlt, zerstört. Zurück bleiben werden für immer tiefe Krater. Ein ohrenbetäubender Lärm bohrte sich durch die Landschaft und in die Köpfe der Soldaten, die in ihren Stellungen auf einen Angriff der Infanterie ausharrten. Nicht wenige von den Männern wurden bereits in den ersten Stunden traumatisiert und für immer verrückt. Granatsplitter schossen umher, zu schnell für das menschliche Auge, und wurden zu mörderischen Waffen. Das deutsche Trommelfeuer auf die französische Front bei Verdun dauerte neun Stunden. 1200 Kanonen feuerten zwei Millionen Granaten ab. Die Franzosen wurden in den ersten Tagen zurückgedrängt. Es schien, als würden die Deutschen Verdun einnehmen. Aber das wollten französische Feldherren um jeden Preis verhindern und setzten so viele Soldaten ein, wie nur möglich. Die Folge: Es kam zu einem zermürbenden Stellungskrieg. Gekämpft wurde um wenige Meter, vielleicht nur 30. Im April 1916 waren bereits 130.000 Franzosen und 120.000 deutsche Soldaten gestorben. Das hielt die mächtigen Generäle nicht davon ab weiterzukämpfen. Mal konnten die Deutschen wenige Meter für sich gewinnen, mal die Franzosen. Aber die Schlacht war völlig verfahren und aussichtslos und endete erst nach 300 Tagen am 19. Dezember 1916. 700.000 Männer hatten ihr Leben verloren. Nach dem Krieg entschloss sich die französische Regierung dazu, die stark umkämpften Gebiete wieder aufzuforsten und unter "Denkmalschutz" zu stellen. Zu etwas anderem war der Boden nicht mehr zu gebrauchen: Noch heute liegen die Gebeine von rund 80.000 vermissten Soldaten irgendwo auf den ehemaligen Schlachtfeldern verschüttet. Außerdem liegen so viele Blindgänger, Granatsplitter und Schwermetallreste darin, was eine Agrarwirtschaft nicht mehr möglich machte. In den umliegenden Ortschaften der ehemaligen Frontlinie entstanden nach dem Krieg sehr wohl Äcker für Getreide und Mais, Weiden für Tiere. Aber noch heute, mehr als 100 Jahre nach der Schlacht, graben Bauern scharfe Granaten aus. Ein Anblick, der surrealer nicht sein könnte. Auf der einen Seite der Straße grasen die Kühe. Auf der anderen Seite ist ein junges Weizenfeld. Darin steckt kopfüber eine Granate, ein explosives Andenken mahnt uns zur Vorsicht. Ein Rütteln, unbedachtes Berühren ist lebensgefährlich. Es ist ein völlig absurdes Szenario. Als die Schlacht im Dezember 1916 endete, waren rund 50 Millionen Bomben und Granaten auf die etwa 20 Quadratkilometer um Verdun niedergegangen. Alles war zerstört, Leichen, Leichenteile, Knochen, lagen verteilt in der Erde, darüber, darunter. Man versuchte, die Soldaten zu begraben. Aber wie sollte man dieser schieren Menge an Leichen, Knochen und Gebeinen Herr werden? Wo sollte man die Männer begraben? Es entstand das Beinhaus von Douaumont, ein im Boden versunkenes Schwert. In den Katakomben wurden die Gebeine von 130.000 unbekannten Soldaten begraben. Sehen kann man die Knochen nur von Außen durch die Fenster. Davor liegen rund 17.000 Soldaten begraben."Mort pour la France" steht auf ihren Grabsteinen. Es ist ein irrer Anblick. Es waren so viele junge Männer, die meisten nicht älter als 30. Aber auch rund um die die Gedenkstätten und kleinen Ortschaften gibt es viele Soldatenfriedhöfe. Französische, Deutsche, Italienische, Amerikanische. Eine ganze Generation junger Männer liegt hier unter der Erde. Neben den Grabstätten empfinde ich die Statue "Mort Homme" (dt. Tote Mann) als sehr beeindruckend. Objektiv betrachtet ist sie nicht besonders ästhetisch: Der halb verweste, stumme Tote, der aufrecht und mit stolzer Brust dasteht und sich in die Fahne seines Landes eingehüllt hat. Für einen kleinen Moment macht mich sein Anblick traurig und ich muss an die vielen jungen Männer denken, die naiv und voller Stolz in den Ersten Weltkrieg zogen, in dem Glauben, dass ihr Heimatland in einem schnellen Krieg siegen würde. Die Wahrheit war eine andere: Jeder Einzelnen von ihnen war eine Marionette der Generäle. Einmal in der Hölle gelandet, hatten sie nur zwei Möglichkeiten der Schlacht mit den Waffen, dem Lärm, Schlamm und Hunger, der Müdigkeit und ständigen Todesangst zu entkommen: Entweder sie starben oder sie wurden verwundet und überlebten in einem Feldlazarett. Laut einem Spiegel-Bericht starb der letzte deutsche Veteran des Ersten Weltkriegs im Januar 2008 im Alter von 107 Jahren, der letzte französische im März 2008. Der gebürtige Brite Claude Stanley Choules starb 2011 im Alter von 110 Jahren als letzter Veteran des Ersten Weltkrieges. Heute, über 100 Jahre nach Ende des Krieges, sind die Wunden längst verheilt. Dort wo es früher nichts als Tod und Verwesung gab, steckt heute voller Leben. Wie der Wald rund um Verdun. In Wirklichkeit kaschiert er nur die Narben der Millionen Granaten, die den Boden für immer verändert haben. Der wellige Untergrund zieht sich wie ein roter Faden durch. Kein Stück Wald ohne ihn. Durch die Wiederaufforstung des geschundenen Bodens konnte sich ein Biotop mit einzigartiger Flora und Fauna entwickeln. Heute blühen wilde Blumen und leben Insekten, Schmetterlinge, Frösche, Spinnen dort. Vielleicht sogar in friedlicher Eintracht. Die Bäume wachsen, wie es ihnen gefällt. Eine märchenhafte Aura umgibt den Wald. Der Staatsforst von Verdun erhielt 2014 das Siegel „Forêt d’Exception“. Eine Auszeichnung für den guten Erhalt dieses historisch so wertvollen Ortes. Die prächtige Natur würde auch den sinnlos gefallenen Soldaten freuen. Und das ist nicht zynisch oder ironisch gemeint. Der Wald lockt nicht nur Besucher von überall her an. Auch viele Einheimische nutzen ihn und joggen auf den ausgebauten Wegen. Und wenn man etwas genauer hinsieht, kann man bereits in der Erde am Wegesrand Granatsplitter, Schrapnellkugeln, Hülsen und ganze Granaten entdecken. Es ist absolut absurd. Vor dem Trip nach Verdun hatte ich befürchtet, dass es mir zu viel werden könnte, mich vier Tage lang mit der Geschichte rund um Krieg und Zerstörung zu beschäftigen. Ich wurde eines Besseren belehrt. Ich tauche gänzlich in die Geschichte ein. Und abends, wenn ich genug davon habe, fahre ich in das nur wenige Kilometer entfernte Stadtzentrum von Verdun. Die Stadt liegt am Fluss Maas und verbreitete eine mediterrane Stimmung. Viele Cafés und Bars haben bis spät abends geöffnet. Die Sonne scheint und die Abende sind lau. Dann kommt sogar richtige Urlaubsstimmung bei mir auf. Weitere Infos: Für die vier Tage hatte ich das Hotel "Logis Hôtel-Restaurant Le Relais" in dem kleinen Örtchen Vacherauville gebucht. Es war sauber und nicht weit von den Gedenkstätten entfernt. www.relais-vacherauville.fr/
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Ein Wochenende alleine in BerlinEine Reportage über die deutsche Hauptstadt-Metropole: Wie ich zum Berliner Kindl wurde„Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau, du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf…“ , summte ich. Nun stand ich hier am ZOB in Berlin. Ich hatte den Bus von Hamburg genommen, das erschien mir angenehmer, als die Bahn oder das Auto. Ich hatte zwei Tage Zeit für Berlin. Nur die Stadt und ich. Das hatte ich mir zuvor schon sehr lange vorgenommen und endlich setzte ich es um. Von der Stadt gehört hatte ich zuvor einiges. Manche Leute fanden Berlin grässlich, laut, zu groß, andere waren sehr begeistert. Ich war gespannt auf die Stadt, die so viel erlebt hatte. Zunächst fuhr ich ins Hotel. Dort würde ich Pläne für den Abend schmieden. Zum Glück hatte meine Freundin einige Zeit in Berlin gelebt und mir eine „What - to - see - in - Berlin“ - Liste zusammengestellt. „Du solltest auf alle Fälle tanzen gehen, auch alleine“, stand ganz oben. Wow, das musste ich erst einmal sacken lassen. Alleine ausgehen, das hatte ich zuvor noch nie gemacht. Ich entschied mich dafür, mich darauf einzulassen und es zu probieren. Wenn es schrecklich war, konnte ich noch immer zurück ins Hotel fahren. Draußen war es dunkel, die U-Bahn nur halb besetzt. An der Station WARSCHAUER STRASSE stieg ich aus und ließ mich treiben, folgte wildfremden Menschen, als hätte ich ein Ziel. Aber ich kam nicht weit. Vor dem Ausgang hatte sich eine Band postiert, fünf Typen spielten eine Mischung aus Jazz, Funk und Drum 'n' Bass. Ich stellte mich an den Rand und beobachtete die Szenerie. Das willige Partyvolk zog lachend am mir vorbei. Ich versuchte zu verdrängen, dass ich hier ganz alleine stand. Ein plötzliches „Hey!“ von der Seite riss mich aus meinen Gedanken. „Die sind gut, oder? Ich bin Ralf!“ Einerseits war ich heilfroh, nicht mehr alleine zu sein, andererseits hoffte ich, er würde nicht aufdringlich werden und bald wieder gehen. Die Vorstellung, einen ganzen Abend einen Typen an der Backe zu haben, der jedes Lächeln als potenzielle Einladung für mehr verstand, schreckte mich ab. Aber Ralf war cool und machte mir keine Avancen, vielmehr erzählte er mir von seiner Leidenschaft und der Berliner Graffiti-Szene. Ich entspannte mich und erzählte ihm von meinen Plänen, alleine tanzen zu gehen. Das konnte Ralf nicht zulassen. Er ließ seine Freunde ohne ihn weiterziehen, er wollte mir einen Club an der REVALER STRASSE zeigen. Die Bar war dunkel und verqualmt. Ich trank mein erstes Berliner Kindl. Die Musik war laut – so wie ich sie mag –, Hip-Hop-Beats schallten durch den Raum. Mich zog es sofort auf die Tanzfläche. Ralf und ich tanzten die ganze Nacht. Ich hatte es geschafft und konnte meinen ersten Punkt auf der To-do-Liste abhaken. Der Abend hatte meine Vorstellungen völlig übertroffen. Danke, Ralf! Als ich am Hotel ankam, war es 4:30 und kalt. Am nächsten Morgen brauchte ich zunächst einen Liter Kaffee, bevor ich in die Gänge kam und zu meinem nächsten Programmpunkt, – dem Mauerpark – an der Station EBERSWALDER STRASSE aufbrechen konnte. Nach der Wende und dem Fall der Berliner Mauer errichteten die Berliner auf einer riesigen Grasfläche einen Park. Er sollte eine Begegnungsstätte für alle sein und gleichzeitig an die getrennten Zeiten erinnern. Jeden Sonntag gibt es im Mauerpark einen Flohmarkt mit Fressbuden, Kitsch und Kunst und etlichen Straßenmusikern, wie die Band Charity Children aus Neuseeland oder Sam aus New York. Ich tauchte in die Atmosphäre ein. Kaum vorstellbar, dass dieser Ort einmal kein Sinnbild für Freiheit war. Von der Station EBERSWALDE fuhr ich zur Station POTSDAMER PLATZ und spazierte die Ebertstraße entlang. Und plötzlich tauchte es rechts neben mir auf: das Denkmal für die vielen ermordeten Juden Europas. Auf einer riesigen Fläche von 19.000 Quadratmetern stehen mattschwarze Betonblöcke auf einem welligen Untergrund in gleichen Abständen zueinander angeordnet. Dazwischen gibt es Licht und Schatten, Oberfläche und Untergrund, ein Wechselspiel aus sich Verstecken und Sichtbarsein. Über mir hing der blaue Himmel, Wolken schwebten vorüber. Weiter hinten wehte die deutsche Fahne im Wind. Das BRANDENBURGER TOR war umringt von Touristen, die eifrig in ihre Handys grinsten. Das Wahrzeichen erinnerte mich an Bauwerke der Antike. Ich ging weiter zum Deutschen Bundestag bis hin zum Gebäude des Reichstags. Die gläserne Kuppel prangte von oben herab, darin waren Besucher zu sehen. Darauf, deutsche Fahnen, daneben die Europafahne. Ich überquerte eine Brücke und ließ mich am Ufer an der Spree nieder und genoss die Sonne. Nach einer Verschnaufpause fuhr ich mit der S-Bahn zur Station OSTBAHNHOF. Ich wollte die berühmte „Eastside Gallery“ und den sozialistischen Bruderkuss zwischen Honecker und Breschnew sehen. Das Bild kannte ich nur aus dem Internet und fand es – live und in Farbe – enttäuschend. Es war heruntergekommen und vollgekritzelt mit Hieroglyphen aller Art. Ich hielt mich nicht lange auf, sondern stieg wieder in die U-Bahn zur Station MEHRINGDAMM. Im Reiseführer hatte ich gelesen, dass die „CURRYWURST 36“ der beste Wursttempel in Berlin war. Und das musste ich probieren. Fazit: Lecker! Am nächsten Tag, meinem letzten Urlaubstag folgte ich von meinem Hotel aus dem Straßenverlauf und überquerte eine Brücke über die Spree. Zu meiner Rechten, ein weißer Prachtbau: das Schloss Bellevue. In der Ferne, die Siegessäule. Ich marschierte durch den Park im Tiergarten in Richtung KURFÜRSTENDAMM und blieb am BAHNHOF ZOO stehen. Hier wurde das Drogendrama „Christiane F., wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gedreht. Ein Film, den ich sicher zehnmal gesehen habe. Neben dem Bahnhof liegt der berühmte Kurfürstendamm. Eine Einkaufsstraße mit vielen Geschäften und Cafés. Ich brauchte eine Pause und Kaffee, bevor ich weiterziehen konnte. Ich schlenderte über den Wittenbergplatz, vorbei an Urania und dem Bauhaus-Museum und bog in die STAUFFENBERGSTRASSE ein. Dort befindet sich das „Denkmal des deutschen Widerstandes“, dort wurde Stauffenberg von den Nazis hingerichtet. Eine Sache musste ich noch unbedingt besuchen, bevor ich zurück nach Hamburg fuhr. Ich schritt die Potsdamer Straße entlang, vorbei an der Neuen Nationalgalerie und der Staatsbibliothek in die FRIEDRICHSTRASSE. Und da war er: Checkpoint Charlie. Der berühmteste Grenzübergang zwischen Ost- und Westberlin lag vor mir. Mauerreste, Infoplakate und Touristen. Überall gab es etwas zu sehen. „You are leaving the american sector“, stand auf einer übergroßen Schautafel aus Holz. Aber ich musste weiter, ich musste meinen Bus zurück nach Hamburg kriegen. Ich trabte die „Unter-den-Linden“ Straße hinab. Zu meiner Linken lag die Humboldt-Universität, die nach dem Naturforscher und Biologen Alexander von Humboldt benannt wurde. Zu meiner Rechten, die Staatsoper. In der Ferne konnte ich den Fernsehturm sehen. Vorbei am Nikolaiviertel, dem ältesten Wohnviertel Berlins, vorbei an der Nikolaikirche bis hin zum ALEXANDERPLATZ mit dem Ungetüm, dem Fernsehturm. Ein Blick auf meine Uhr ließ mich zusammenzucken. Jetzt hatte ich es richtig eilig. Ich sprang in die U-Bahn und fuhr zum Hotel. Dort hievte ich mein Gepäck auf die Schultern und raste los in Richtung ZOB. Aber schaffte ich es rechtzeitig zum Bus zurück nach Hamburg? Ich hatte noch 45 Minuten Zeit. Wieder sprang ich in die Bahn und versuchte mich zu beruhigen. Die Strecke bis zum Busbahnhof war nicht weit, ich musste nur einmal umsteigen. Station WESTKREUZ. Aussteigen. Dann der Schock: Die nächste Bahn fuhr in 20 Minuten. Ich begann leicht zu zittern. Meine Hoffnung, pünktlich am Bus zu sein, schwand. Jetzt hieß es: Entweder schaffe ich es oder knapp nicht. Aber eine weitere Nacht hatte ich nicht eingeplant und kein Hotel gebucht. Was sollte ich also tun? Der einfahrende Zug beendete meine Gedankenspirale. Nach einer Station kam ich an der Messe ZOB/ICC an. Ich sprang aus der Bahn und rannte los. Am ZOB angekommen: 100 Busse. Es war 19:43 und ich panisch. Wo war der verdammte Bus? Ich drehte mich dreimal um die eigene Achse und dann sah ich ihn vor mir. Wie ein kleines Wunder war er mir plötzlich erschienen. Ich rannte wieder los. „Ich will mit. Ich bin hier“, sagte ich laut, aber eher zu mir als zum Busfahrer, der rauchend und völlig entspannt neben dem Bus stand. „Da kiekste wa!?“, entgegnete er. Ich musste lachen und stieg ein. Was Buddha verbindet, darf der Mensch nicht trennenEine Deutsch-Thailändische HochzeitAls das Flugzeug am Flughafen Suvarnabhumi landet, ist es bereits dunkel und alles wirkt ruhig. Aber dieser Schein trügt, denn Bangkok schläft nie. Wie 100 andere Touristen auch, stelle ich mich geduldig an dem "Immigration Counter" an und nachdem ich freundlich in die Kamera gelächelt, einen Stempel in meinen Reisepass, sowie das bedachte Kopfnicken der Beamtin erhalten habe, darf ich endlich einreisen. Wider Erwarten erschlägt mich die Hitze nicht, sondern begrüßt mich freundlich, umspielt und hüllt mich angenehm ein, wie ein Kokon aus Wärme und Licht. Todmüde aber überglücklich greife ich zum Telefon und halte für einen kurzen Moment inne, schließe die Augen und denke:" Endlich bin ich wieder da! Sawadee kha, Bangkok." Nach einer Nacht im "Grand China Hotel" nimmt meine Reise wieder Fahrt auf. Vom großen Busbahnhof "Mo Chit" aus geht es für mich in Richtung Norden, nach Phitsanulok. 6 Stunden und zwei Powernaps später, erreiche ich die Busstation und meine thailändischen Freunde (meine thailändische Freundin, eine gemeinsame Freundin und ihr Bruder). Die Wiedersehensfreude ist groß. (Auch jetzt, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und an dieses Gefühl denke, treibt es mir die Tränen in die Augen. Genug der Sentimentalitäten!) Wir fahren zusammen zum elterlichen Wohnhaus, wo mir zuerst die Dame des Hauses begegnet. Ich begrüße sie, falte meine Hände, als ob ich beten wollte und verneige mich vor ihr. Sie erwidert meinen Gruß und lächelt. Es ist ein höfliches, aber sehr offenes und warmes Lächeln. An diesem Abend treffe ich alte Freunde wieder und lerne viele neue Leute kennen. Menschen, die aus den verschiedensten Ländern (Thailand, Deutschland, Italien, Russland und Österreich) aus einem Grund angereist sind. (Aus dem besten Grund der Welt, wie ich finde!) Nämlich, um die Liebe zwischen zwei Menschen zu feiern!!! Da die Hochzeit im Elternhaus meiner thailändischen Freundin stattfindet, liegt es nahe bei den Vorbereitungen mitzuhelfen. Und so beschließt die Gruppe, die auf 16 Personen angewachsen und in derselben Unterkunft einquartiert ist, an diesem Abend früher ins Hotel zu fahren. Der nächste Tag, der Tag vor der Hochzeit, soll ein arbeitsreicher werden und etwas Schlaf kann da nicht schaden. Aber was passiert, wenn man Menschen wieder trifft, die man 5 Jahre nicht mehr gesehen hat? Richtig!!! Man teilt sich ein Hotelzimmer miteinander und quatscht auch noch drei Stunden nach dem 5. "Good Night, let´s sleep" miteinander. Viel zu lange hat man sich nicht gesehen, viel zu interessant sind die Gespräche. Wohl aus Erschöpfung sind wir irgendwann eingeschlafen. Am nächsten Tag starten wir eher weniger ausgeschlafen in den Tag. "Thank god" unser Hostel hat Kaffee, und zwar richtigen. Nach zwei Latte Macchiato iced bin ich hellwach und fühle mich wie ein Frettchen auf Speed. (Ich weiß bis heute nicht, ob es am Koffein oder doch am Zucker gelegen hat). Wir werden gesammelt abgeholt und vom familiären Pick Up - Service zum elterlichen Domizil kutschiert. Dort angekommen gibt es erstmal Frühstück, um für die anstehenden Tätigkeiten gewappnet zu sein. Diese lassen allerdings auch nach dem Essen auf sich warten, weshalb ich selbstständig versuche mich an irgendeiner Stelle nützlich zu machen. Kurz darauf sitze ich in Mitten Tanten, Cousinen und Nachbarinnen und putze Gemüse. Und sie finden mich unglaublich süß, wenn ich versuche Thailändisch zu sprechen. So einigen wir uns recht schnell auf eine gemeinsame Sprache, dem Lachen. (In Thailand ist es so, dass die Küche vom Rest des Wohnraumes getrennt liegt. Aber nicht als gesonderten Raum, sondern als eigenständiges, kleines Gebäude, nebenan dem Haupthaus. Wenn für sehr viele Leute gekocht wird, dann treffen sich sämtliche Frauen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis, um im Freien zu kochen. Dabei tauschen sie sich aus, es wird getrunken und viel gelacht.) Irgendwann werde ich dort allerdings abgezogen, um an der "Mission Blumendeko" mitzuwirken. Hierbei werden wir in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Arbeitsfeldern eingeteilt. Die Frauen entdornen 1000 Rosen und fädeln zig Orchideenköpfe zu langen Ketten auf, die Männer verarbeiten die Blumen, kreieren Gestecke und schmücken die große, schwere Holztreppe, die vom Untergeschoss des Hauses in die oberen Wohnräume führt. Wie ein Puzzel fügt sich alles nach und nach zu einem großen Ganzen. Am Ende sind wir zwar müde und erschöpft aber auch fasziniert. Andächtig und wie kleine Kinder betrachten wir unser Werk. Am nächsten Morgen klingelt der Wecker bereits um 4:30. Es ist noch dunkel und verhältnismäßig kalt als wir gegen 6:00 am vereinbarten Treffpunkt, der Hochzeitslocation, eintreffen. Vom elterlichen Wohnzimmer und blumigen Schlachtfeld keine Spur mehr. Wie von Zauberhand hat es den letzten Schliff bekommen und erstrahlt im vollen Glanz. Kurz darauf treffen 9 buddhistische Mönche ein und nehmen Platz auf dem Teppich, dem eigens für sie drapierten Gebets-und Zeremonienbereich. ("9" ist die absolute Glückszahl in Thailand). Auch die Gäste versammeln sich langsam, setzen sich auf den Boden und bilden einen Halbkreis um Brautpaar und Mönche. Es wird ruhig, alle warten gespannt. Ein Vorbeter beginnt mit den buddhistischen Mantras, die Restlichen sprechen ihm nach. (Ein Prozess, der im christlichen Glauben am ehesten mit dem Rosenkranzgebet vergleichbar ist). Während dieser Zeremonie müssen Braut und Bräutigam knien und sich immer und immer wieder vor den heiligen Worten verneigen. Nach einer Stunde unterbrechen die Mönche ihre Gebete und werden von den Gastgebern verköstigt. (Buddhistische Mönche lehnen Besitz ab, versuchen asketisch zu leben und gehen auch nicht arbeiten. Das Essen ist quasi der Lohn der Mönche). Gestärkt beenden sie die Zeremonie und segnen das Brautpaar. Das läutet die Pause und ein frühes Mittagessen für die Gäste ein. Gesättigt und etwas müde starten wir die "Parade". Dafür stellen wir uns am Nachbargrundstück paarweise auf und marschieren lautstark in Richtung Elternhaus, wo die Braut, im 1. Stock, auf ihren Geliebten und die übrigen Gäste wartet. Dabei trägt jeder einen Teller mit Nudeln, gekochtem Hühnchen oder Süßspeisen. Traditionell werden dem Brautpaar auch ganze Bananenbäume als symbolträchtige Geschenke überreicht. (Die Bananenbäume werden auch tatsächlich zwei Tage später am Grundstück der Eltern vergraben. Eine sehr schöne Geste, denn eine Ehe ist doch wie ein Baum. Anfangs jung und schmächtig braucht sie viel Liebe und Pflege, damit sie wachsen, gedeihen und Wurzeln schlagen kann. Erfährt sie diese Zuwendungen, trägt sie schon bald Früchte). Am Eingang des Elternhauses bleibt unser Zug, allen voran der Bräutigam, stehen. Was folgt ist, dass ihm der Weg ins Obergeschoss, zu seiner Geliebten, versperrt wird. Er muss laut ihren Namen rufen und seine Liebe gestehen. Alle jubeln, "Nochmal". Diesmal ruft er noch eindringlicher und lauter! Endlich darf er zu ihr in den ersten Stock, endlich ist die Liebe vereint. Nach dieser kleinen Darbietung stellen wir unsere Gabenteller auf eine Matratze, welche zuvor auf den Gebetsteppich (der Mönche) gelegt wurde, ab. Brauteltern, Brautpaar und das Elternpaar des Bräutigams setzen sich ringsum. Die restlichen Gäste stehen im Kreis. Es beginnt eine Zeremonie, wo Geld aber auch Goldschmuck präsentiert und vom Bräutigam den Brauteltern übergeben wird. Eine Art Auslöse für die Tochter! Nach dem die "Verhandlungen über die Bühne" gegangen sind, dürfen sich die Frischvermählten endlich küssen. Ein schüchterner Kuss auf die Wange besiegelt die große Liebe! Es wird geklatscht! Die Gäste beglückwünschen das Brautpaar. Danach werden wir ins Hotel gebracht, um uns für die abendliche Party zu erholen und frisch zu machen. Als ich aus dem Auto steige, das mich vom Hotel zur Hochzeitsfeier bringt, traue ich meinen Augen kaum. Alles ist so herrlich romantisch. Neben der Kokospalme im Garten steht dort auch eine Bühne, auf der eine Band bereits thailändische Hits zum Besten gibt. Von der riesigen Palme aus ziehen Dutzende Lichterketten fächerartig über das Gründstück und verzaubern es in einen Ballsaal unter freiem Himmel. Rund 400 Gäste sind gekommen und haben bereits ihre Plätze eingenommen. Das Essen wird serviert. Ein Highlight folgt auf dem Fuße: Das Brautpaar sowie deren Eltern und sogar ein wichtiger Regierungsvertreter aus dem Ministerbüro für Verkehr werden auf die Bühne gebeten und vorgestellt. Die wunderschöne Braut greift zum Mikrofon und richtet ein paar Begrüßungssätze an die Gäste, während ihre Freundin das Thailändische ins Englisch übersetzt. Allerdings staune ich nicht schlecht, als plötzlich der deutsche Bräutigam seine Ansprache frei, auswendig und auf thailändisch hält. Auch wenn ich kein Wort verstehe, so spüre ich die Tragweite und die Bedeutung seiner Rede. "Liebe ist mächtig, sie sprengt Ketten, hält sich an keine Regeln oder Gesetze und verbindet Menschen auf der ganzen Welt, wenn auch sicherlich nicht mühelos, dann scheinbar grenzenlos, miteinander". Ich bekomme eine Gänsehaut. Danach setzt die Musik wieder ein und bald darauf gibt es für uns, für mich, kein Halten mehr. Es wird getanzt, getrunken, gelacht und sogar gesungen. Ein besonderes Ständchen bringt eine gemeinsame Freundin der Braut. Sie singt live, auf der Bühne, in Begleitung der Band eines der Lieblingslieder der Braut, bringt den Abend damit auf seinen Höhepunkt und rührenden Abschluss. Was folgt sind Tage der Entspannung! Zumindest für die ausländischen Gäste, sicherlich nicht für Braut und Bräutigam. Man könnte meinen die beiden hätten ihre Pflicht ganz und gar erfüllt, aber falsch gedacht. Die Zwei kümmern sich sehr aufopfernd um ihre Gäste, und so fahren rund 20 Leute schon zwei Tage darauf in die historische Stadt Sukhotai in der gleichnamigen Provinz. (Die historische Stadt Sukhothai ist eine Art Freilichtmuseum und UNESCO - Weltkulturerbe. Die Stadt wurde im 13. Jhd v. Chr. erbaut und war Ausgangspunkt sowie Hauptstadt des ersten großen Königreichs der Thai. Die Ruinen sind gut erhalten und stellen eine bedeutende Touristenattraktion dar.) Von Phitsanulok aus erreichen wir nach nur einer Stunde Fahrt das Areal des "Sukhothai Historical Park". Die Sonne zeigt sich von ihrer schönsten Seite und treibt das Thermometer in die Höhe. Zur Mittagszeit hat es bereits 30 Grad im Schatten und es scheint, dass nicht nur wir, sondern auch der Asphalt schwitze. Das hält uns allerdings keineswegs davon ab Fahrräder auszuleihen. Und so schwingen wir uns auf unsere Vehikel und brausen los, um diese Sehenswürdigkeit zu erkunden. Dieser Ort ist magisch, heroisch und idyllisch zugleich. Der Park erstreckt sich über eine große Fläche, bestehend aus alten Bauten, Bäumen und Teichen mit unzähligen Seerosen. Urplötzlich fühle ich mich ganz klein. Ehrfürchtig betrete ich die Anlagen, deren stumme Zeugen wahrhaftig erhaben auf eine große, vergangene Zeit schließen lassen. Ich spüre wie dieser Park mich entschleunigt und ruhig werden lässt. Alltagssorgen und Stress aus Europa scheinen wie weggeblasen.
Wären da nicht die viele anderen Touristen, die organisierte Korruption und der Kapitalismus, wäre diese kleine Insel, deren Breite in einem 10-minütigen Fußmarsch durchschritten ist, der Himmel auf Erden. Warum erwähne ich das? Weil es ein großes Thema ist: Die Einheimischen, welche die Insel mit Brief und Siegel vom Königshaus erhielten, wurden skrupellos über den Tisch gezogen und ihnen dieses Stück Land, mitten im Ozean, durch lächerliche Summen abgekauft. Und wie ich heute weiß, "Geld regiert die Welt aber auch Not und Gier". Dadurch verschwindet der "sanfte Tourismus" gänzlich. Alles "Alte und alt Bewährte" wird abgerissen und stattdessen sündhaftteure Resorts aufgezogen, um eine gehobene Klientel mit prall gefüllten Geldbeuteln anzulocken! Schade drum!Trotz dieser Tatsache, die ich nicht verstehen kann aber akzeptieren muss, genieße ich die verbleibenden Tage des Urlaubs in den wahrscheinlich letzten urtümlichen, einfachen aber sehr gemütlichen Bungalows, die Sonne, das Meer, den Strand und neben täglichen, frisch gepressten und eiskalten Vitamindosen, das eine oder andere Chang! "PROST, ein Hoch auf das Leben und die Liebe"! |