Taschen für AfrikaSarah Müller (27) hat das geschafft, wovon andere träumen: Sie hat ihr eigenes Label gegründet und tut damit noch etwas Gutes. Was das ist und was das alles mit Kenia zu tun hat, erzählt sie mir im Tischgespräch.Als wir uns an diesem Montag zum Interview treffen, begrüßt mich eine junge blonde Frau mit einem strahlendem Lächeln in ihrer Wohnung und Atelier in Musberg bei Stuttgart. Wir setzen uns, es gibt Kaffee und eine Aprikosentorte von der Oma. Kmde: Du bist gelernte Schneiderin und textile Produktentwicklerin, hast vor ein paar Jahren dein eigenes Label gegründet. Woher hast du deine kreative Seite? Sarah: Kreativsein war Zuhause immer schon ein Thema. Meine Eltern sind beide Innenarchitekten und haben mich auf Ausstellungen oder Möbel- und Designmessen mitgenommen. Das prägt natürlich. In der Realschule habe ich dann selbstständig damit angefangen zu nähen. Zum Beispiel schnitt ich alten T-Shirts die Ärmel ab und nähte etwas an. Das sah ganz fürchterlich aus, hat mir aber wahnsinnig Spaß gemacht. Damals hatte ich schon den Traum, irgendwann eine kleine Kollektion zu haben und die vielleicht auf einer Messe zu verkaufen. Und weil ich so gerne nähte, machte ich auch ein Praktikum in einem kleinen Atelier hier in der Nähe. Danach war ich fest entschlossen: Ich will Schneiderin werden. Nicht viele Jugendlich wissen genau, was sie später mal machen möchten ...
Ich wusste es genau, ich war mir meiner Sache ziemlich sicher. Wie haben deine Eltern auf deine Entscheidung reagiert? Meine Eltern dachten, ich würde vielleicht auf das Gymnasium gehen. Denn meine Noten waren richtig gut. Aber ich suchte mir einen Ausbildungsplatz bei Hugo Boss und dann war ihnen klar, dass ich es ernst meine. Und wie ging es dann weiter? Ich machte drei Jahre lang eine Ausbildung zur Modeschneiderin und absolvierte danach ein Gesellenjahr im Bereich Sportswear. In dieser Zeit habe ich noch so viel mehr von dem Handwerk gelernt. Denn als Geselle sitzt du wirklich nur an der Nähmaschine, bekommst ein Muster und das nähst du dann. Da bekam ich viel Übung und Routine. Nach dem Jahr wechselte ich auf die Staatliche Modeschule in Stuttgart und machte eine zweijährige Ausbildung zur staatlich geprüften Produktentwicklerin. Da lernte ich viel über Design und Schnitt. Bereiche, die ich vorher nicht so kannte. Das waren intensive aber schöne Jahre, die Ausbildung machte mir viel Spaß. Dann begann ich wieder bei Hugo Boss als Trainee zur Produktentwicklerin an. Was hast du da genau gemacht? Da war ich quasi die Schnittstelle zwischen Design, Schnitte und Produktion. Ich musste mich damit auseinandersetzen, wo die Teile produziert werden, mit den Kunden und Händlern, … Ich konnte mir sogar eine der Produktionsstätte in Izmir angucken und habe zwei Woche selbst mitgearbeitet. Das war interessant. Aber nicht alles. Du hast gemerkt, dass dir das nicht reicht? Irgendwie war ich noch nicht dort, wo ich hingehöre. In meiner Ausbildungszeit hatte ich so viel gelernt und jetzt konnte ich nur einen Bereich davon anwenden, genäht habe ich kaum noch. Das war mir zu wenig. Ich wollte alles anwenden. Aber ich wusste, ich wollte andere auch unterrichten. Während der Ausbildung zur Produktentwicklerin kam es dazu, dass ich den Kollegen immer wieder mal beim Nähen ausgeholfen oder ihnen etwas erklärt habe. Das war mein großer Vorteil, ich hatte sehr viel Näherfahrung – im Vergleich zu anderen. Und wie bist du nach Afrika gekommen? Meine Zeit als Trainee bei Hugo Boss ging zu Ende und als sie mir dann eine Stelle anboten, habe ich sie ausgeschlagen. Ich wusste, ich möchte noch mal raus, noch etwas erleben und unbedingt mal nach Afrika. Ich fand, jetzt war die Zeit reif dafür. Wie haben deine Eltern auf deine Entscheidung reagiert? Die waren zunächst nicht begeistert. „Jetzt will das Mädel auch noch nach Afrika." Aber im Endeffekt haben sie mich verstanden. Und dann war es ein Bekannter meiner Mutter, der mir von dem Projekt „Karai Childrens Vocational Center“ in Kenia erzählte, das von der Keniahilfe Schwäbische Alb organisiert ist. Das Projekt gibt Kindern und Jugendlichen in Kenia ein Zuhause, sie erhalten eine Schul- und Berufsausbildung zum Schneider, Friseur, Schreiner oder Elektriker. Hilfe zur Selbsthilfe quasi. Über die Keniahilfe Schwäbisch Alb bekam ich im September 2016 die Möglichkeit nach Afrika zu reisen und vor Ort in der Berufsschule Nähen zu unterrichten. Wahnsinnig mutig... Finde ich gar nicht. Ich hatte ja deutschen Ansprechpartner und wusste, auf was ich mich einlasse. Klar, ich war zuvor noch nie in Afrika gewesen, aber das fand ich spannend. Und ich wollte Kenia nicht als Touristin kennenlernen, sondern in die Kultur und das Land eintauchen und vor Ort mithelfen. Außerdem ging es nur um ein halbes Jahr und war nie geplant, dass ich verlängern oder ein eigenes Projekt starten würde. Wie ging es dann vor Ort weiter? Ich bin ganz nett aufgenommen worden und habe mir zuerst eine Woche lang den Nähunterricht angeguckt. Dann habe ich angefangen, mit den Schülerinnen, Handytaschen zu nähen, und reparierte die Maschinen. Kannst du das? Ich dachte, ich könnte es nicht. Aber wenn man sich länger damit beschäftigt, stellt man fest: Es geht doch. Aber du hast ja noch mehr getan! Kurz nachdem ich angekommen war, machte die Schule im Oktober und November Ferien. Aber ich war ja nur sechs Monate in Kenia und wollte den Schülern auch etwas mitgeben, etwas beibringen. Deshalb fragte ich die Schülerinnen, ob sie nicht Lust hätten, auch in den Ferien in die Schule zu kommen. Das fanden sie gut. Unter den Mädchen war auch Carolin, die hatte in der Berufsschule ihren Abschluss als Schneiderin gemacht, fand aber keine Arbeit. Wir hatten überlegt, was wir tun könnten, um einen Arbeitsplatz zu schaffen. Und dann fielen mir die vielen Zucker-, und Baustoffsäcke auf, die überall herumlagen. Die haben wir gesammelt, gereinigt und angefangen daraus Taschen zu nähen. Anfangs waren es nur Caro und ich. So ist dann das Projekt und Label Nyuzi Blackwhite entstanden. Nyuzi ist Suaheli und bedeutet Fäden auf Deutsch. Du hast damit angefangen, die Taschen zu verkaufen? Nachdem meine Zeit in Kenia abgelaufen war, bin ich im März nach Deutschland zurück und hatte rund 30 Taschen mit im Gepäck. Zuhause bin ich zum Gewerbeamt, habe mein Unternehmen angemeldet und bin auf den nächsten Flohmarkt. Zunächst hatte ich wenig Erfolg. Auf einem lokalen Ostermarkt ging es dann aber viel, viel besser und ich verkaufte tatsächlich unsere Taschen. Da wusste ich, ich musste weitermachen. Und seitdem mache ich das so. Das Prinzip funktioniert? Es hat es sich super entwickelt. Ich startete mit Caro und jetzt sind noch vier weitere junge Frauen bei dem Projekt an der Schule angestellt. Ich bin ihre Mentorin und Einkäufer. Alle paar Monate fliege ich nach Kenia und wir arbeiten neue Muster und Taschenmodelle aus. So konnten wir über die Zeit unsere Produktpalette erweitern und gewinnen stetig mehr Kunden. Ich kaufe die Taschen ein und verkaufe sie auf lokalen Märkten und über das Internet auf Etsy. Das garantiert die Arbeitsplätze der Schneiderinnen und ihre Löhne. Und bisher funktioniert das gut. Was sagen deine Eltern heute? Ich denke, sie sind stolz auf mich. Beide besuchten mich schon in Kenia und meine Mama macht den Online-Shop, wenn ich nicht da bin. Ist dir bewusst, dass du eine Vorreiterrolle hast? Das, was ich tue, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich denke, wir, denen es wirtschaftlich gut geht, haben Verantwortung und ich denke mir, wenn wir uns das nicht trauen, wer denn sonst. www.nyuzi-blackwhite.de |
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